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Was der Westen nun gegen Russland tun kann - Von Alan Posener

Posted by ProjectC 
<blockquote>"...So kraftstrotzend sich Russland gibt, so schwach ist das Land wirklich. Die Wirtschaft basiert fast ausschließlich auf dem Export von Gas und Öl. Ein Verfall der Energiepreise kann das Land in den Ruin treiben, wie es in den 1980eer Jahren bereits einmal geschah. Die Bevölkerung Russlands altert und schrumpft. Alkoholismus und Aids haben epidemische Ausmaße angenommen. Das politische System ist autoritär und deshalb instabil. Indem die russische Führung die Unabhängigkeitsbestrebungen der Abchasen und Ossetier unterstützt, öffnet sie eine Büchse der Pandora, die zum weiteren Zerfall Russlands führen kann – man denke nur an Tschetschenien. Und militärisch beweist der schnelle Sieg der russischen Armee gegen das winzige Georgien gar nichts. Würde sich Europa in Abhängigkeit von diesem Koloss auf tönernen Füßen begeben, es würde sich nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit einhandeln."</blockquote>


Was der Westen nun gegen Russland tun kann

Von Alan Posener
27. August 2008
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Angela Merkel nennt Russlands Vorgehen in Georgien "absolut nicht akzeptabel". So weit, so populär. Doch was folgt daraus? Andere Politiker mahnen zu "Besonnenheit". Nur: Was meinen sie damit? Dabei gibt es sehr konkrete Dinge, die der Westen jetzt wirklich unternehmen kann.

Angela Merkel hat klare Worte gefunden: Die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Russland sei „absolut nicht akzeptabel“. Weniger klar ist aber, was Deutschland, die EU und die Nato tun könnten, um die von Russland geschaffenen Tatsachen rückgängig zu machen.

Zudem befindet sich der Westen moralisch in Erklärungsnot. Schließlich haben die meisten – wenn auch nicht alle – EU- und Nato-Staaten, darunter Deutschland, erst im Februar die Selbstständigkeit des Kosovo anerkannt und damit die territoriale Integrität Serbiens zerstört. Da wirkt es auf den ersten Blick ein wenig scheinheilig, sich nun auf das Prinzip der territorialen Integrität zu berufen, um die Abspaltung der georgischen Provinzen zu verurteilen. Bevor man sich also fragt, was der Westen gegen die Zerstückelung Georgiens tun können, muss man klären, ob der Westen dazu überhaupt moralisch berechtigt ist.

Ob es klug war, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, mag dahingestellt bleiben. Schlecht war es in jedem Fall, dass die EU in dieser Frage nicht geschlossen auftrat. Fünf EU-Staaten lehnten die Aufspaltung Serbiens ab; Spanien etwa fürchtete nicht ohne Grund, dass mit der Abspaltung des Kosovo ein Präzedenzfall geschaffen würde, auf den sich rebellische Katalanen und Basken berufen könnten. Russland hatte zudem angekündigt, dass es die Anerkennung des Kosovo zum Anlass nehmen werde, die Abspaltung von Teilen Georgiens zu forcieren. Dies geschah in den folgenden Monaten denn auch und führte zum Krieg mit Georgien und, nach der Niederlage der Georgier, zur Anerkennung der „Unabhängigkeit“ der faktisch von Russland kontrollierten Republiken Abchasien und Südossetien.

Freilich hat Russland mit der Berufung auf den Präzedenzfall Kosovo seinerseits klar gemacht, dass dem Kreml das Prinzip der territorialen Integrität nur dann etwas gilt, wenn es Russland nützt. Und mit der nun erfolgten Anerkennung der abgespaltenen georgischen Provinzen als unabhängige Staaten hat das Duo Medwedew-Putin im Grunde genommen nachträglich die Anerkennung des Kosovo durch den Westen legitimiert. Damit ist ein Prozess in Gang gesetzt worden, den weder Russland noch der Westen kontrollieren kann. Wenn das Prinzip der territorialen Integrität der Nationalstaaten nicht mehr Grundlage der internationalen Beziehungen ist, wird die ohnehin prekäre Situation vieler Staaten weiter erschwert. Man denke nur an die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden, die mit dem Irak, der Türkei, Syrien und dem Iran gleich vier Staaten destabilisieren können.

Die folgenreiche Unabhängigkeit des Kosovo

Das Kosovo wollte der Westen als einmaligen Fall betrachten. Schließlich war die albanische Bevölkerung einem versuchten Völkermord der serbischen Führung ausgesetzt. Deshalb war sie unter UN-Schutz gestellt worden. Und indem gleich beiden Staaten die EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurde, eröffnete das europäische Imperium Serben wie Kosovo-Albanern die Perpektive einer Zukunft, in der nationale Grenzen ohnehin bedeutungslos würden. Die Hoffnung, Russland für diese Sicht der Dinge zu gewinnen, ist nun gescheitert. Russland stellt seinen Wunsch nach Wiederherstellung seiner imperialen Größe und Ausdehung seines Einflussgebiets über den Wunsch, mit dem Westen zusammen die neue Weltordnung zu gestalten. Deshalb hat Merkel auch Recht mit ihrer Feststellung, Russlands Vorgehen habe nicht nur die Situation im Kaukasus, sondern die Weltlage verändert.

In dieser Situation muss sich Europa zunächst nüchtern fragen, was seine Interessen sind und wie sie geschützt werden können. Europa will Stabilität an seinen Grenzen und eine sichere Energieversorgung. Russland und seine Unterstützer wie der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sagen: Russland werde für beides sorgen, wenn Russlands berechtigte Anliegen respektiert werden. Dazu gehören die Respektierung einer russischen Interessensphäre, die auch Weißrussland, die Ukraine, Georgien und die anderen Kaukasus-Staaten sowie möglicherweise Moldawa umschließt. Der Westen sollte nicht versuchen, durch die Aufnahme dieser Staaten in die Nato oder gar die EU sein Einflussgebiet auszudehnen. Außerdem sollte der Westen Vorhaben unterlassen wie das Raketenschutzschild in Polen und Tschechien oder die Pipeline „Nabucco“, die Öl und Gas Mittelasiens an Russland vorbei durch Georgien (!) und die Türkei nach Europa bringen soll. Russland biete sich also an als Garant der außenpolitischen Stabilität und der energiepolitischen Sicherheit Europas. Man kann das auch andersherum sagen: Russland droht mit der weiteren Destabilisierung der Peripherie Europas – etwa durch Versuche, den Krim von der Ukraine abzuspalten, Teile Moldawas zu annektieren, die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten gegen deren Regierungen aufzuwiegeln – und mit der energiepolitischen Erpressung des Kontinents, falls sich Europa nicht bereit erklärt, sich seine außenpolitische Agenda von Moskau diktieren zu lassen.

Nun mag diese Aussicht manchen Politikern und Kommentatoren – insbesondere jenen, die Europa gern von den USA abspalten würden – als akzeptabel, ja wünschenswert erscheinen. Sie ist aber nicht einmal praktikabel. So kraftstrotzend sich Russland gibt, so schwach ist das Land wirklich. Die Wirtschaft basiert fast ausschließlich auf dem Export von Gas und Öl. Ein Verfall der Energiepreise kann das Land in den Ruin treiben, wie es in den 1980eer Jahren bereits einmal geschah. Die Bevölkerung Russlands altert und schrumpft. Alkoholismus und Aids haben epidemische Ausmaße angenommen. Das politische System ist autoritär und deshalb instabil. Indem die russische Führung die Unabhängigkeitsbestrebungen der Abchasen und Ossetier unterstützt, öffnet sie eine Büchse der Pandora, die zum weiteren Zerfall Russlands führen kann – man denke nur an Tschetschenien. Und militärisch beweist der schnelle Sieg der russischen Armee gegen das winzige Georgien gar nichts. Würde sich Europa in Abhängigkeit von diesem Koloss auf tönernen Füßen begeben, es würde sich nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit einhandeln.

Deshalb ist die langfristige Antwort auf die veränderte Weltlage klar: Europa muss weiterhin die Perspektive verfolgen, Georgien, die Ukraine und Moldawa in die Nato und in die EU aufzunehmen. Es muss stärker als bisher darauf achten, Pipelines um Russland herumzuführen, und vor allem schnell das „Nabucco“-Projekt abschließen. Überdies müssen alle Alternativen zu Öl und Gas – von Wind- und Sonnenenergie bis hin zur Atomkraft – forciert ausgebaut werden und dürfen nicht an ideologischen Vorbehalten von Links oder Rechts scheitern. Dies alles geht nur, wenn Europa als Einheit handelt. Diese langfristige und vor allem gemeinsame Zielsetzung muss das wichtigste Ergebnis des bevorstehenden EU-Gipfels sein. Zum Glück sind sich hier die wichtigsten europäischen Führer einig – Merkel, Sarkozy, Brown, Berlusconi und Kommissionspräsident Barroso.

Der Schlüssel liegt in der Energiepolitik

Zur Ehrlichkeit gehört es aber auch festzustellen, dass der Westen kurzfristig wenig tun kann, um Russland zur Umkehr zu bewegen. Das aber, was möglich ist, muss getan werden, unabhängig davon, wie sehr Moskau vor einem „neuen Kalten Krieg“ warnt. Die Polen sind mit gutem Beispiel vorangegangen, indem sie unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in Georgien den zuvor umstrittenen Vertrag über die Stationierung amerkanischer Abwehrraketen unterzeichnet haben. Die Amerikaner selbst haben mit der Entsendung von Kriegsschiffen mit Hilfsgütern für Georgien ins Schwarze Meer ein starkes Signal an Russland gesendet. Darüber hinaus sollte Russland so lange weder Mitglied der Welthandelsorganisation WTO noch Gastgeber der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 sein dürfen, bis eine Regelung für Abchasien und Südossetien gefunden ist, die garantiert, dass sie nicht einfach zu Provinzen Russlands werden. Eine Möglichkeit könnte die Installierung einer UN-Schutztruppe sein, die nicht, wie jetzt, aus Russen besteht.

Die EU sollte die Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen mit Russland ebenso auf Eis legen wie die derzeit bestehenden Visa-Vorteile für russische Staatsbürger. Nichts von alledem wird Russland kurzfristig beeindrucken. Es aber zu unterlassen, würde jene Strömungen in der russischen Führung ermuntern, die auf Konfrontation und Expansion setzen. Zeigt sich Europa aber geschlossen und selbstbewusst, könnten auch in Russland jene Kräfte die Oberhand gewinnen, die begreifen, dass es angesichts der katastrophalen Zukunfstaussichten im Riesenreich in Russlands ureigenstem Interesse liegt, von der Politik der Konfrontation abzurücken und zur Politik der Kooperation zurückzukehren.